Welterbe – Exkursion: Jüdisch-mittelalterliches Erbe in Erfurt

Die diesjährige Welterbe-Herbstexkursion führte im Rahmen einer Tagesfahrt in die thüringische Landeshauptstadt Erfurt, knapp zwei Autostunden von Kulmbach entfernt. Als ersten Programmpunkt gab es eine halbstündige Kostprobe der virtuosen Spielkunst des Domorganisten Professor Silvius von Kessel. Mit einem Auszug aus dem Schaffen eines Vertreters der Familie Bach und einer anschließenden Improvisation brachte der Organist meisterhaft die drei Orgeln des Doms, perfekt aufeinander abgestimmt, zu einer eindrucksvollen Klangfülle. Ähnlich seinem Lehrmeister Olivier Latry von Notre Dame setzt Professor von Kessel immer wieder das Vibrato der Orgel gekonnt ein. Ein außergewöhnliches Erlebnis, das lange in Erinnerung bleibt!
Entlang der meist sehr gelungen restaurierten Bürgerhäuser der Altstadt ging es anschließend zur Alten Synagoge, einer der ältesten, größten und am besten erhaltenen mittelalterlichen Synagogen Europas. Deren Baugeschichte spiegelt in eindrücklicher Weise die Geschichte einer jüdischen Gemeinde im Spannungsverhältnis mit ihrer christlichen Umwelt wider, beginnend bei den Anfängen um 1100, über Aufstieg und Blüte, aber auch Ausschreitungen und Verfolgung, bis hin zur völligen Auslöschung der Gemeinde während des Pogroms vom 21. März 1349, bei dem auch die Synagoge zerstört wurde. Auf ihren Mauern errichtete ein Erfurter Kaufmann ein Lagerhaus. Den Juden wurde vorgeworfen, durch die Vergiftung der städtischen Brunnen am Ausbruch der Pest Schuld zu tragen. Bei der städtischen Entwicklung Erfurts am Kreuzungspunkt wichtiger Handelswege zwischen dem Ende des 11. und der Mitte des 14. Jahrhunderts spielten die jüdischen Bewohner der Stadt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ein Beleg dafür ist u.a. der im Keller der Alten Synagoge ausgestellte sogenannte Erfurter Schatz. Er wurde höchstwahrscheinlich während des Pogroms von 1349 von einem jüdischen Kaufmann vergraben – ein in Umfang und Zusammensetzung einmaliger Fund, der erst 1998 kurz vor dem Abschluss archäologischer Untersuchungen auf einem Grundstück nahe der Alten Synagoge unter der Mauer eines Kellerzugangs entdeckt wurde. Der Schatz hat ein Gesamtgewicht von fast 30 Kilogramm. Mit etwa 24 Kilogramm machen 3.141 Silbermünzen sowie 14 silberne Barren verschiedener Größen und Gewichte quantitativ den größten Anteil aus. Außerdem enthielt der Fund mehr als 700 Einzelstücke gotischer Goldschmiedekunst in teilweise exzellenter Ausführung. Das bedeutendste Objekt im Schatz ist ein jüdischer Hochzeitsring aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts. Er besticht vor allem durch die herausragende handwerkliche Qualität, in der die gotische Miniaturarchitektur aus reinem Gold gearbeitet ist. Profane Goldschmiedearbeiten aus der Gotik sind kaum erhalten, da sie vor allem als Wertanlage betrachtet wurden und deshalb bei Bedarf versetzt, verkauft oder eingeschmolzen wurden. Entsprechend einmalig ist der Erfurter Schatzfund, der schon in Paris, New York und London ausgestellt war. Schon fünf Jahre nach dem Pogrom von 1349 siedelten sich auf Geheiß des neuen Erzbischofs von Mainz, zu dessen Bistum Erfurt gehörte, erneut Juden in der Stadt an und begründeten die zweite jüdische Gemeinde. Der neue Erzbischof, der die Oberhoheit über die Juden besaß, man sprach deshalb auch von “Schutzjuden“, wurde von Erfurt anerkannt und verzichtete daraufhin auf alle Rechtsansprüche, die er aus dem Judenmord an den Rat hatte (etwa durch entgangene Steuereinnahmen). Die Hinterlassenschaften der Juden und die ausstehenden Schulden fielen der Stadt zu und wurden von dieser eingetrieben, die Schulden von Bürgern und von Erfurt, die diese bei den Juden hatten, wurden jedoch annulliert. Für die neu entstandene Gemeinde ließ der Erfurter Rat eine Synagoge erbauen, die „kleine Synagoge“, die wir auch besuchten. Die Juden lebten weitgehend im selben Quartier, nun aber größtenteils zur Miete in städtischen „Judenhäusern“. Es gab auch in der zweiten Gemeinde einige sehr wohlhabende und einflussreiche Familien, die im Fern- und Geldhandel tätig waren. Die Gemeinde entwickelte sich zeitweise zu einer der größten im deutschsprachigen Raum. Im 15. Jahrhundert nahm in Erfurt die antijüdische Stimmung zu. 1453 kündigte der städtische Rat den Judenschutz auf, zu dieser Zeit verließen alle Juden die Stadt. Seit 1454 wurden in Erfurt keine Juden mehr geduldet. Die jüdischen Wohnhäuser wurden verkauft, die Synagoge zum Zeughaus umgebaut und der Friedhof eingeebnet.
Rund 350 Jahre nachdem Juden aus Erfurt ausgewiesen worden waren, durften sich in der Stadt wieder Menschen mit jüdischem Glaubensbekenntnis ansiedeln. 1789 erhielten sie gegen Zahlung eines Leibzolls ein Aufenthaltsrecht. Erst 1810 wurde einem Juden wieder das Bürgerrecht verliehen. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich wieder eine bedeutende Gemeinde, die schnell anwuchs. Direkt am Ufer der Gera besaß die jüdische Gemeinde wohl schon im 12. Jahrhundert eine Mikwe. Urkundliche Belege aus der Mitte des 13. Jahrhunderts zeigen, dass die jüdische Gemeinde für das Ritualbad und für das Grundstück Abgaben zahlte. Leider konnte diese Mikwe nicht besichtigt werden. Statt dessen bestand noch Gelegenheit zum Bummel über die 700 Jahre Krämerbrücke über die Gera. Sie ist mit ihren 32 Häusern und darin untergebrachten kleinen Läden die längste durchgehend mit Häusern bebaute Brücke Europas. 
Tiefpunkt der neueren jüdischen Geschichte in Erfurt war die systematische Vertreibung und Vernichtung jüdischer Menschen im Nationalsozialismus. Nach Kriegsende siedelten sich wieder Juden in der Stadt an, die jedoch auch unter dem sich antifaschistisch gebenden System der DDR als zionistische Agenten mit Verfolgung rechnen mussten und deshalb vielfach emigrierten. Nach der Wende wuchs die jüdische Gemeinde in Erfurt v.a. durch Zuzug aus Osteuropa auf heute etwa 500 Mitglieder an. 

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